Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Bilder vom menschlichen Leben.

Der deutsche Dokumentarfilm, fünf Jahre nach der Wende

von Manfred Hattendorf

Der ostdeutsche Dokumentarist Volker Koepp (vgl. Porträt in fd 23/1994) und die westdeutsche Dokumentaristin Viola Stephan ("Slask - Schlesien", "Kriegsende", "Die Reise von Petersburg nach Moskau") haben sich am 31. März in Ost-Berlin getroffen, um sich über die Schwierigkeiten und Aufgaben des deutschen Dokumentarfilms im Prozeß der deutsch-deutschen Wiedervereinigung zu unterhalten. Ihre Beobachtungen vermitteln wichtige Einsichten in das Nebeneinander von Normalität, Neugier und Desinteresse, durch die sich die Filmszene östlich wie westlich des Brandenburger Tores auszeichnet. Ihre Reflexionen sind gleichzeitig eine deutliche Warnung vor einer gefährlichen narzißtischen Nabelschau. Mit Viola Stephan und Volker Koepp sprach Manfred Hattendorf.

Inwieweit besteht die Mauer in den Köpfen der Dokumentaristen in Berlin auch fünf Jahre nach dem Mauerfall immer noch ?

Koepp: Mit bestimmten Kollegen aus dem Westen haben wir uns in Ost-Berlin früher öfter getroffen als jetzt. In Berlin ist es einfach so: Dadurch, daß es so strukturiert ist mit bestimmten Stadtteilen - Charlottenburg, Schöneberg, Prenzlauer Berg -, ist jeder in seinem eigenem Kiez, wie es so schön heißt, irgendwie zu Hause, und das empfinde ich auch eher als eine Form von Normalisierung nach der Aufregung, nachdem die Mauer weggefallen war.

Hat man sich heute, in einer "normalen Welt", weniger zu sagen als früher, als die Mauer noch da war?

Koepp: "Es ist auch eine Form von Normalität, daß jeder seiner Arbeit nachgeht. Jeder hat seine Bereiche, seine Themen, die er bearbeitet. Der Produzent meiner Filme sitzt halt im Prenzlauer Berg oder Babelsberg, Viola Stephan ist ihre eigene Produzentin. Dadurch gibt es auch eine räumliche Trennung, aber das finde ich nicht weiter schlimm. Dadurch, daß es im Dokumentarfilm einige Schwierigkeiten gibt, Filme zu finanzieren, ist es letztlich auch eine Frage von Geld: Wer bekommt woher Geld, wer kennt wen, und da gibt es auch verschiedene, teilweise gewachsene Bindungen zu Fernsehsendern.

Stephan: Beiuns war das vollkommen anders, wir hatten untereinander ohnehin keine Kontakte in dem Sinn. Die Gruppendynamik, die es im Osten gab, hatten wir ja gar nicht. Ich habe meine Filme seit 15 Jahren gemacht und kannte kaum jemand von den Berliner Filmleuten. Die Gruppendynamik, die es gab, war meist politischer Natur, die hat mich nicht interessiert. Es gab da durchaus Grüppchen, aber zu denen habe ich nicht weiter Anschluß gesucht. Wir konnten doch Filme produzieren, ohne daß man die Kollegen kannte, das war doch gar nicht nötig. Gedreht habe ich sowieso meist im Ausland - Berlin war gewissermaßen nur meine Basis.

Aber es gibt doch eine Filmszene in West-Berlin?

Stephan: In Charlottenburg und Wilmersdorf, wo Kneipen sind und wo man hingeht, wo man sich trifft, wenn man sich trifft.

Wo Sie sich treffen - aber Herr Koepp nicht unbedingt.

Stephan: Nein - außer früher, wenn sie 'rüber durften, dann kamen sie auch, aber nach dem Mauerfall nicht mehr.

Herr Koepp, Sie sind Dozent an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. Wäre es für Sie ebenso selbstverständlich, an der Filmhochschule dffb in (West-) Berlin zu unterrichten?

Koepp: Klar, ich würde da auch was machen. Reinhard Hauff, den Leiter der dffb, treffe ich während der Filmfestspiele auf Partys, er wohnt ja mit Hans Helmut Prinzler in einem Haus. Man kennt sich so - ich habe da keine Probleme mit Berührungen. Es geht natürlich, wenn man Filme machen will, ums Geld. Da haben wir im Osten schon mal gehört, daß Kollegen aus dem Westen gesagt haben, daß wir uns etwas zurückhalten sollten, denn wenn es um einen Geldtopf geht, dann gibt es natürlich auch Streit und Konkurrenz. Wobeies auch so ist, daß beiden inzwischen installierten Landesfilmförderungen in Mecklenburg oder in Sachsen der größte Anteil der Förderungsanträge von Kollegen aus Westdeutschland kommmt. Früher gab es in der DDR keine freie Filmproduktion. Man war entweder beider DEFA oder beim unseligen Fernsehen der DDR. Hier im Prenzlauer Berg gab es ein bißchen 8mm-Untergrundfilm, aber ansonsten gab es nichts.

Wie war für Sie der Übergang in die freie Marktwirtschaft?

Koepp: Nichts ist so schön, als wenn sich etwas auflöst. Als das DEFA-Dokumentarfilmstudio in Berlin aufgelöst wurde, hatten wir auf einmal Technik zur Verfügung wie sonst nie. Wir konnten ständig drehen und haben Filmmaterial bekommen. Dadurch, daß man dann immer einen Film gerade fertig hatte und der nächste auch irgendwie finanziert wurde - ich weiß gar nicht mehr genau, wie das ging in der Wendezeit -, dadurch ist der Übergang ganz gut gelaufen. In der ersten Zeit gab es außerdem in der zentralen Filmförderung beim Bundesinnenministerium einen gewissen Ost-Bonus. Aber das ist nun alles fünf Jahre her und hat sich ziemlich normalisiert, glaube ich. Den Ost-Bonus gibt es nicht mehr, und jeder muß sehen, daß er das Geld für seine Filme zusammenbekommt. Und da geht es den Leuten im Westen genauso wie den Leuten im Osten.

Es wird manchmal der Vorwurf laut, wenn ein Förderungsantrag nicht durchgeht, würden ostdeutsche Kollegen so etwas sehr schnell politisch nehmen und sagen, sie seien zensiert worden, wobei die Ablehnung, vielleicht nur an einem schlechten Drehbuch gelegen hat.

Stephan: Ich finde, auf der Ebene sollte die Diskussion nicht stattfinden, daß einer sagt: Ich bin nicht gefördert worden, weil ich aus dem Osten bin. Es ist natürlich immer leicht, so etwas zu sagen. Das ist wie beijeder Form von Rassendiskriminierung. Ich kenne das aus New York: Wenn da etwas von einem Schwarzen kommt, dann sagt er eben, es seiRassismus. Das ist genau dasselbe Prinzip. Aber das ist nicht ernst zu nehmen. Gerade im Dokumentarfilm ist es bekannt, daß die ostdeutschen Dokumentarfilme relativ gut und anerkannt waren. Es ist doch klar, daß die Kollegen aus Ostdeutschland genauso ihren Förderanteil bekommen sollen. Ich habe selbst auch Fördergelder aus Mecklenburg, Sachsen und Brandenburg bekommen und habe das nie so gesehen, daß ich aus dem Westen bin oder nicht aus dem Westen.

Koepp: Es ist eher ein bißchen umgekehrt. Ich habe von östlichen Förderungen bisher relativ wenig bekommen. Meine Verbindungen, auch zu Fernsehanstalten, sind weniger zum ORB - obwohl ich 80 Prozent meiner Filme in Brandenburg gedreht habe -, sondern eher zum WDR oder Südwestfunk.

Stephan: Das spielt einfach keine Rolle. Ich bin seit 15 Jahren in Berlin und habe noch nie mit dem SFB gearbeitet.

Koepp: Es gibt immer die Vorstellung, daß wir beider DEFA drehen konnten so viel wir wollten. Im DEFA-Dokumentarfilmstudio waren aber höchstens 20 Prozent des Gesamtproduktionsvolumens Dokumentarfilme im eigentlichen Sinne. Der größte Teil war alles mögliche andere, Sprachsendungen, Sandmännchen. Es gab einen Etat für Dokumentarfilme, der war gar nicht so sehr hoch. Um den haben sich dann auch 25 bis 35 Regisseure beworben. Man mußte da auch was aufschreiben, das wurde dann eingereicht ans Kultusministerium. Dort wurde entschieden, welche Projekte gemacht wurden. Aber das Procedere war gar nicht so sehr viel anders, wenn man so will.

Es waren natürlich andere Leute, die das entschieden haben.

Koepp: Das stimmt. Jetzt gibt es halt eine Vielzahl von Gremien. Man kann keinen Film mit nur einem Fördertopf finanzieren.

Hatten westdeutsche Dokumentaristen Schwierigkeiten mit der Wiedervereinigung?

Stephan: Das ist auch eine Frage der politischen Haltung. Die ganzen Linken, die das immer prima fanden in der Ostzone, die haben jetzt natürlich Streß. Den habe ich nicht. Ich fand den Sozialismus immer das letzte, deswegen habe ich es einfach. Da ich immer viel in Rußland gedreht habe und im "richtigen" Osten war, habe ich dazu eine andere Einstellung. Für mich gab es keine Utopie. die zusammengebrochen ist, darum kann ich das lockerer angehen.

Wie äußert sich dieser Verlust der Utopie im täglichen Filmgeschäft?

Stephan: Wenn eine DEFA-Filmpremiere ist - und selbst wenn sie im Westen stattfindet, das hatten wir ja auch schon -, dann ist da kein einziger aus dem Westen außer mir. Das fällt mir einfach auf. Wo sind die ganzen Leute, die früher immer 'rüber kamen und alles so prima fanden? Mich wundert das. Ich beobachte, daß sich da etwas abspaltet. Mir fällt dazu die Premiere von Hannes Schönemanns Film "LaBENDIG" am Steinplatz ein. Das ist ja nun wirklich ein Kino im Westen. Es war voller Leute, alle waren da, aber nur die DEFA.

Koepp: Ich verstehe das auch nicht. Vielleicht ist es eine Art von unnötigem Konkurrenzdenken, so etwas gibt es natürlich auch. Viola Stephan hat uns, wenn sie vor 1989 in den Osten kam, immer erzählt, daß das System zusammenbrechen würde, woran wir nicht so ohne weiteres geglaubt haben, weil es nicht im Bereich des Möglichen zu liegen schien. Es ist natürlich so, wenn man ab dem Mauerbau am selben Ort gehockt hat, mit einer Gruppe von Menschen, dann entsteht auch ein besonderes gruppendynamisches Verhältnis. Wenn man 15 Jahre lang jeden Tag in der DEFA-Kantine saß und die Leute getroffen hat, dann entstehen auch bestimmte Bindungen, auch Arbeitsbeziehungen mit einem Kameramann oder Tonmeister.

Mit welchen Themen sollten sich Dokumentaristen fünf Jahre nach dem Mauerfall auseinandersetzen?

Koepp: Wenn man an Themen in Mitteleuropa oder überhaupt in Europa denkt, dann ist es sicher das Verhältnis der Deutschen zu den östlichen Nachbarn - das ist sicher ein Thema, das weit ins nächste Jahrtausend reicht. Alles andere ist relativ befriedet, wenn man so will. Die Leute leben in Westeuropa relativ gut miteinander, während der Hauptkrisenherd eben in Richtung Osten liegt: Wie wird sich der Osten entwickeln, was wird aus Rußland? Insofern liegen die Themen für Dokumentarfilme dort, im Osten. Was für mich aber nicht bedeutet, daß ich aus Ostdeutschland weggehen möchte. Wir haben früher mit sogenannten Langzeitprojekten versucht, kleine Veränderungen zu beschreiben, über Jahre. Jetzt verändert sich relativ schnell was - warum soll man da anfangen, woanders Filme zu machen?

Fühlen Sie sich als Künstler dazu aufgerufen, Wegbereiter der deutschen Wiedervereinigung zu sein?

Stephan: Künstler sollten ihre Arbeit machen und nicht zu irgend etwas aufgerufen werden. Ich bin genauso dagegen, daß Künstler über ihre politische Meinung zu sehr befragt werden. Ein Dokumentarfilm hat ohnehin immer bereits ein politisches Moment, selbst wenn man das nicht will. Ich finde, wenn man das in den Filmen so halbwegs hinkriegt, ist das schon in Ordnung. Maler sollten malen und wir filmen.

Koepp: Das hängt natürlich auch mit der Vorstellung zusammen, daß Dokumentarfilme in irgendeiner Hinsicht ein operatives Genre sind, das etwas bewerkstelligen oder verändern kann. Das ist absurd. Wenn nicht einmal so eine mächtige Organisation wie die UNO in der Lage ist, auf dem Balkan etwas zu verändern, was soll da ein kleiner Film oder ein Bild oder ein Buch? Ich glaube, daß es eher die Aufgabe des Dokumentarfilms ist, aus sich heraus Zeit zu repräsentieren. Daß man einfach versucht, durch möglichst genaue Beschreibung von Wirklichkeit, die man vorfindet, ein Bild herzustellen, mit dem andere Leute, die das dann sehen, etwas anfangen können. Nicht unbedingt Schlüsse ziehen, aber angesichts der allgemeinen Berichte über Greuel und Tod in der Welt auch noch ein Bild vom menschlichen Leben haben, das es ja durchaus gibt.

Muß man sich damit abfinden, daß Filme wie Stefan Trampes Debüt "Der Kontrolleur" auf absehbare Zeit eher ein ostdeutsches als ein westdeutschespublikum haben werden?

Koepp: Wenn Filme gut sind, dann ist es keine Frage, ob sie für ein ostdeutsches oder ein westdeutsches Publikum gemacht sind. Natürlich gibt es unterschiedliche Rezeptionsgewohnheiten. Als ich Hartmut Bitomsky kurz nach der Wende zu einer Premiere eines "Wittstock"-Films in das Kino "Babylon" eingeladen habe, hat er mich gefragt: Warum haben die Leute da oder da gelacht? Es gibt natürlich Gewohnheiten und auch eine unterschiedliche Sprache. Man hat sich ja im Osten anders verständigt. Man hat nicht über alles geredet, sondern es gab so ein merkwürdiges System vom mimischen und gestischen Zeichen, daß man Witze erzählt hat usw. Ansonsten ist aber ein Film ein Film und ist nicht nur für Ostdeutschland oder Westdeutschland da, sondern sollte auch in anderen Ländern zu besichtigen sein.

Manfred Hattendorf (filmdienst 12/1995)

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