Filmstill zu "Lotte in Weimar"

Wege voller Steine.

Porträt Frank Beyer

von Mathias Fuchs

Diese Auszeichnung werde ein Zeichen setzen gegen die Pauschalverurteilung von DDR-Kunst, sie werde auch die Möglichkeit bieten für eine sachliche Analyse der kulturellen Entwicklung in jenem Lande. Das sagte ein Mann, mit dem es sein Staat nicht immer gut gemeint hatte, der auf Widerspruch und Verdikte gestoßen war: Frank Beyer, dem kürzlich in Berlin bei der Vergabe des Deutschen Filmpreises ein „Filmband in Gold“ für sein Gesamtwerk überreicht wurde (vgl. Artikel in dieser Ausgabe). Die Juroren erkannten denn auch „Bezüge zwischen seiner Biografie und einem durchgehenden Thema seiner Filme, der Menschwürde in schwerer Zeit“. Gerade aber Frank Beyers Auseinandersetzungen mit seinem Thema waren es, die immer wieder Anstoß erregten, bei den Machthabern des SED-Regimes ebenso wie, unausgesprochen, bei den Institutionen in der Bundesrepublik Deutschland, in der die frühen Arbeiten Frank Beyers jedenfalls nicht in das reguläre Kinoprogramm gelangt sind. Nur Institutionen – wie etwa die Freunde der Deutschen Kinemathek in Berlin – boten schon zeitig einen Einblick in das frühe Werk des DEFA-Regisseurs. An Breitenwirkung hat es somit, im Gegensatz zum Erfolg Frank Beyers in den Kinos der DDR, in der Bundesrepublik Deutschland gefehlt. Erst als 1966 seine Inszenierung „Spur der Steine“ nach organisierten Protesten schon kurz nach der Premiere auf Regierungsbeschluss aus den Kinos der DDR entfernt wurde, horchte man auch im Westen auf: Frank Beyer wurde mit einem Male interessant. Ein zweites Mal fand er Aufmerksamkeit, als sein Film „Jakob der Lügner“ 1975 auf dem Berliner Festival aufgeführt wurde: Vlastimil Brodski, der Protagonist, erhielt zu Recht einen „Silbernen Bären“ als bester Darsteller des Festivals. Es war jenes Jahr, in dem die osteuropäischen Staaten zum ersten Male am Wettbewerb der Internationalen Berliner Filmfestspiele teilgenommen hatten; aus dem letztlich doch westlichen Ereignis war, bedingt durch die veränderten äußeren politischen Bedingungen innerhalb der neuen Ostpolitik, ein internationales Festival geworden mit Teilnehmern aus Ost und West. Frank Beyer kam dies zustatten. Er sollte auch hinfort ein Mann bleiben, der sich beiden Seiten der noch immer geteilten Welt verbunden fühlte. Ein zweites Mal – aber das war dann schon in der Spätphase der DDR - fand er, wiederum in Berlin, allgemeines Aufsehen: als seine verbotene Arbeit „Spur der Steine“ nach einem Vierteljahrhundert aus den Regalen des SED-Regimes hervorgeholt wurde. Mit Erstaunen musste man da auf dem Berliner Festival konstatieren, welche Lebendigkeit, welche Aktualität vor allem sich Frank Beyers Film über das Leben auf einer der Großbaustellen der DDR über die Zeiten hinweg bewahrt hatte.

Versteckt im Programm

„Spur der Steine“ war jedoch nicht Frank Beyers einzige Arbeit, die jenseits der Elbe Anstoß erregt hatte: seine Komödie „Das Versteck“ (1976/77) hatte zwar eine exzellente Besetzung, zugleich jedoch auch die falsche zur falschen Zeit. Jutta Hoffmann und Manfred Krug waren die Protagonisten einer munteren, witzigen Ehekomödie, in der ein Ehemann sich nach einem Jahr der Trennung wieder Einlass zu seiner Frau verschafft, indem er sich als ein von der Polizei Gesuchter einfindet. Es war weniger das Sujet, das ja auch einiges über die Verhältnisse in der DDR mitteilt, als vielmehr die Tatsache, dass gerade zu diesem Zeitpunkt Jutta Hoffmann und Manfred Krug – in der Folge der Biermann-Affäre – ihren Wohnsitz von Ost nach West verlegt hatten, was dem Film Schwierigkeiten bereitete. Man legte ihn gleichsam auf Eis, führte ihn ohne sonderliche Werbung erst Ende 1978 auf. Versteckt im Programm wurde alsbald auch Frank Beyers Fernseh-Inszenierung „Geschlossene Gesellschaft“. Hier ging es – wiederum mit Jutta Hoffmann sowie mit Armin Mueller-Stahl in den Hauptrollen – in einer ehelichen Konfrontation um Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft, und die hatte Beyer eben anders gesehen und interpretiert, als es den Vorstellungen von Staat und Partei entsprach. Es ist im übrigen eine von Beyers stillsten und zugleich eindringlichsten Arbeiten. Und schließlich waren es auch noch polnische Interessen, die hatten berücksichtigt werden wollen: Die DDR hatte 1983 Beyers „Aufenthalt“ für den Wettbewerb der „Berlinale“ nominiert. Der Film war auch von westlicher Seite ausgewählt und angenommen worden – bis Polen protestierte, das sich in der Geschichte zweier junger Deutscher, die nach 1945 in die Gewalt Polens gelangen, nicht richtig gesehen fühlte. Der eine der ehemaligen Soldaten wird zu Unrecht der Kriegsverbrechen verdächtigt und gequält, der andere, als NS-Gewalttäter, zu Recht zum Tode verurteilt. Die Begegnung der beiden, das Verhalten der polnischen Seite wird von Beyer – im Sinne unbestechlicher Menschlichkeit - interpretiert. In West-Berlin erhielt daraufhin Frank Beyer 1980 demonstrativ den Preis des Verbandes der deutschen Filmkritiker. Er erhielt ihn – zusammen mit seinem Autor Wolfgang Kohlhaase – noch einmal, für seine Komödie „Der Bruch“, die zwar ein liebenswertes Zeitbild zeichnet, doch nicht unbedingt zu Beyers stärksten Arbeiten zählt. Die Geschichte eines Bankeinbruchs im Berlin der 20er Jahre bleibt letztlich doch etwas unverbindlich. Überzeugend hingegen die ausgezeichnete Darstellerführung, die im übrigen in allen Frank-Beyer-Filmen zu beobachten ist. Sie mag zu einem nicht geringen Teil zurückzuführen sein auf die Ausbildung des Regisseurs, die er an der Prager Filmhochschule zu Beginn der 50er Jahre absolviert hat. 1932 im thüringischen Nobitz geboren, arbeitete Beyer von 1950 an als Kreissekretär des Kulturbundes in Altenburg und als Regieassistent am Theater in Crimmitschau. In Prag lernte er sein Handwerk; sein Abschlussfilm, „Zwei Mütter“, gelangte sogleich ins Kino. In ihm sind bereits stilistische Merkmale und thematische Vorlieben Frank Beyers zu erkennen, die Freude vor allem, formal eigene Wege zu gehen, die fortwährende Bereitschaft, sich mit der Wirklichkeit – und das bedeutet für Beyer mit der jüngsten Vergangenheit wie mit der Gegenwart – auseinanderzusetzen. Der Streit zweier Mütter, einer deutschen Frau und einer zwangsverschleppten Französin, in Kriegs- und Nachkriegstagen um ein Kind bestimmt den Film. DDR-Wirklichkeit in der Epoche der Kollektivierung der Landwirtschaft prägt die folgende (wiederum schwächere) Inszenierung „Eine alte Liebe“ (1958/59). Der spanische Bürgerkrieg, der ansonsten im DEFA-Film kaum Beachtung fand, bestimmt die Geschichte kommunistischer republikanischer Spanien-Kämpfer (mit Geschonneck, Mueller-Stahl und Krug), die Beyer ohne äußeres Pathos, ohne Heldenverehrung in Szene gesetzt hat: „Fünf Patronenhülsen“ (1959/60).

Ohne Propaganda-Töne

Zu seinen eindringlichsten Arbeiten allerdings gehört seine Verfilmung von Bruno Apitz' Roman „Nackt unter Wölfen“ (1962), ein gleichermaßen unerbittlicher und unparteiischer Blick in ein KZ-Lager, Konfrontation der Charaktere, Menschlichkeit eines Kindes wegen, das vor den NS-Schergen versteckt wird. Auch hier wieder Erwin Geschonneck und Armin Mueller-Stahl in den Hauptrollen. Ein Film, der durch sein Engagement, durch seine realistische Interpretation erschüttert, der durch den Verzicht auf jegliche Propaganda beeindruckt. Mit „Spur der Steine“ wandte sich Beyer sodann der unmittelbaren Gegenwart zu, die er mit Witz zeichnete, mit unterschwelliger Kritik bedachte, indem er einen Raufbold von arbeitswütigem Zimmermann (Manfred Krug) den nur mit dem Munde engagierten Funktionären gegenüberstellt. Das konnte 1966 in der DDR nicht gutgehen. Die vorgestellten Missstände jedoch haben sich letztlich bis zum Ende der DDR erhalten, „Spur der Steine“ hat sie überlebt.

Das Verbot von „Spur der Steine“ bewirkte jedoch für Beyer eine achtjährige Unterbrechung seiner Tätigkeit als Filmregisseur. Ihm blieb das Theater, dem er sich in Dresden, Görlitz und Ost-Berlin zuwandte, und es blieb ihm das Fernsehen, für das er die fünfteilige Serie „Rottenknechte“ (1969/70) über die Hinrichtung deutscher Matrosen durch ein NS-Militärgericht nach Ende des Zweiten Weltkrieges inszenierte, sowie, vierteilig, „Die sieben Affären der Dona Juanita“, die die Legende um einen weiblichen Don Juan demaskieren. Erst 1974 konnte wieder ein Kinofilm entstehen, der erwähnte „Jakob der Lügner“. Und von 1980 an drehte Beyer – in der Folge seiner DEFA-Inszenierungen „Das Versteck“ und „Geschlossene Gesellschaft“ und den sich jeweils anschließenden Komplikationen in der DDR – Fernsehspiele in der Bundesrepublik Deutschland, zunächst „Der König und sein Narr“ (1980/81) über Friedrich Wilhelm I. und seinen Hofmann Gundling, sodann „Die zweite Haut“ (1981, mit Angelica Domröse und Hilmar Thate), eine wenig überzeugende Emanzipationsgeschichte. Und später noch einmal mit „Bockshorn“ (1983) eine unausgeglichen wirkende Persiflage auf amerikanische Jugendkulte. Dazwischen lag als wesentliche Arbeit „Der Aufenthalt“, in der Beyer – wie schon in seinen früheren „Königskindern“ (1961/62) – sich ganz auf die Konfrontation zweier Gestalten beschränken konnte. Und in der er eben auch wieder sein Hauptthema aufgreifen konnte, die Auseinandersetzung mit der Geschichte. Sie zieht sich durch sein ganzes Oeuvre, bestimmt den Grundklang seiner Inszenierungen, die immer auf eine eigene Bildsprache bedacht waren, um neue Formen bemüht in den früheren Arbeiten, um Klarheit und Realität ringend in den späteren. Er war, obgleich er all seine Filme bei der DEFA realisierte, nicht ein typischer Regisseur der ostdeutschen Filmgesellschaft, aber er war einer ihrer besten, einer, der sich nicht an staatliche Verordnungen und Trends anhängte, der eigene Wege suchte und fand. Vor allem aber auch einer, der noch bei den bittersten Themen leisen Humor fand neben der Melancholie und Verzweiflung. Und einer nicht zuletzt, der kraftvolle Komödien in Szene setzen konnte. All das ist viel für einen deutschen Regisseur, der sich immer wieder auch mit den Widrigkeiten der Gegenwart herumschlagen musste.

Mathias Fuchs (filmdienst 13/1991)

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